Ernst Ludwig Kirchner
Kindheit in Aschaffenburg

Ernst Ludwig Kirchner wurde am 6. Mai 1880 als Sohn des Papierchemikers Ernst Kirchner und dessen Frau Maria Elise, geborene Franke, in Aschaffenburg geboren. Sein Vater kam nach Aschaffenburg, weil es dort eine bedeutende Fabrik zur Herstellung von Papier gab. Durch ihn kam der Sohn früh mit Druckgrafik in Verbindung, die später bei der Künstlergruppe „Brücke“ eine wesentliche Rolle spielen sollte.

Auf Anraten seiner Eltern hatte Ernst Ludwig Kirchner 1901 in Dresden mit einem Architekturstudium begonnen, das er nach acht Semestern auch beendete. Für seine Diplomarbeit „Entwurf einer Friedhofsanlage“ erhielt er die Note „Gut“. Wie stark das Studium der Architektur Kirchner auf seinem Weg zur bildenden Kunst und in der Entwicklung seines Stils geprägt hat, beleuchtete die Schau „Ernst Ludwig Kirchner als Architekt“ im Museum Künstlerkolonie der Darmstädter Mathildenhöhe Ende 2011. Die Ausstellung zeigte anschaulich, wie die Ornamente des Jugendstils sich fortentwickelten in die weniger geschwungenen, breiteren, abstrakteren Linien, die später die typischen Holzschnitte des frühen Expressionismus kennzeichneten.

Die Künstlergruppe Brücke

Am 7. Juni 1905 schloss er sich mit Erich Heckel, Fritz Bleyl und Karl Schmidt-Rottluff – Autodidakten wie er – zur Dresdner Künstlergemeinschaft Brücke zusammen. In dieser Zeit entwickelte er sich von einem impressionistisch beeinflussten Maler zum Expressionisten. Zu seinen bevorzugten Themen gehörten neben Akten und Porträts auch Landschaften, Stadtansichten und die Welt des Varietés. Er lebte bis 1911 in Dresden und zog dann nach Berlin. Dort lernte er seine neue Lebensgefährtin Erna Schilling kennen. In seinen Bildern war eine Veränderung bemerkbar. So wurden seine runden Formen nun spitzer, nervöser. Straßenszenen wurden zum bestimmenden Motiv. Sie sind heute die gefragtesten Bilder des Künstlers. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs verbrachte er die Sommermonate mit seiner Partnerin Erna auf Fehmarn, wo eine Fülle großartiger Bilder entstand. Nach der Teilnahme an der Ausstellung des Sonderbunds in Köln verfasste Kirchner 1913 eine Chronik über die Brücke, in der er seine Bedeutung für die Künstlergruppe stark hervorhob. Es kam zum Streit mit den anderen Mitgliedern, in dessen Folge sich die Gruppe auflöste.

Erster Weltkrieg

Um nicht als Frontsoldat eingezogen zu werden, meldete sich Kirchner im Ersten Weltkrieg als Freiwilliger und kam zur Artillerie nach Halle. Schon wenige Monate später erfolgte sein psychischer Zusammenbruch. Auch wegen seiner Medikamentenabhängigkeit wurde er im Sanatorium Dr. Oskar Kohnstamm in Königstein im Taunus behandelt, wo er im Sommer 1916 einen Zyklus großer Wandbilder mit Badeszenen von der Insel Fehmarn schuf.

Davoser Zeit

1918 ließ er sich in der Schweiz in der Nähe von Davos nieder. Die neue Farbigkeit der Bergwelt inspirierte ihn zu einem regelrechten Schaffensrausch. Es entstanden großartige Bergszenen und Ölgemälde, aber auch eine Fülle von Aquarellen und Zeichnungen. In den späten zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts mündete seine Kunst in ein ruhiges Spätwerk, das einen deutlichen Einfluss von Picasso zeigt. Da er sich von der Kritik zu wenig gewürdigt fühlte, verfasste er unter einem Pseudonym kurzerhand selbst Besprechungen seiner eigenen Werke. Als die Nationalsozialisten in Deutschland die Macht übernahmen, fielen Kirchners Werke unter die Kategorie „entartete Kunst“. Am 15. Juni 1938 starb Kirchner in Davos an den Folgen eines Pistolenschusses. Die auf den Notizen des Amtsarztes beruhende Annahme eines Freitods ist in jüngster Zeit durch forensisch-waffentechnische Untersuchungen angezweifelt worden.

Würdigung nach 1945

Nach dem Zweiten Weltkrieg fand die erste, nicht-kommerzielle Kirchner Ausstellung in Aschaffenburg statt. Initiiert wurde sie von dem 1942 nach Aschaffenburg übergesiedelten, bedeutenden Vertreter der Neuen Sachlichkeit, dem Maler Christian Schad. Auch anlässlich seines 100. Geburtstags fand eine große Kirchner-Ausstellung im Schloss Johannisburg und der Kunsthalle Jesuitenkirche statt. In Berlin gab es eine große Retrospektive dazu in der Nationalgalerie, die anschließend im Haus der Kunst in München, im Museum Ludwig in Köln und im Kunsthaus Zürich gezeigt wurde. 1992 wurde in Davos das Kirchner-Museum eröffnet, wo sein Nachlass gezeigt wird. In der Aschaffenburger Kunsthalle Jesuitenkirche war anlässlich des Jahrtausendwechsels die Ausstellung „Ernst Ludwig Kirchner – Leben ist Bewegung“ zu sehen. Das Städel-Museum in Frankfurt würdigte den Künstler 2010 mit einer Retrospektive, die mehr als 135 000 Besucher anzog.